Da der Schnee nun den ersten Arbeiteinsatz verhindert - ich beim zweiten leider fern der Arbeitenden weile, hier nun ein Beitrag aus der warmen vorösterlichen Stube:
Mitte September hatte ich das große Glück: Eine Woche Bildungsurlaub auf einem Traditionssegler - dem See-Ewer Petrine!
Endlich wieder auf der Ostsee, auf einem Traditionssegler mehrere Tage verbringen und dessen speziellen Typus des Segelns erlernen und selbst erleben - und dabei auch mehr über das Ökosystem und die aktuellen Bedrohungen erfahren.
Die echte Gorch Fock - wird von einem Verein restauriert. |
Die Petrine erwartete ihre neue aus der ganzen Republik zusammengewürfelte Besatzung in Stralsund - direkt auf Liegeplatz 8 hinter dem Hafenmeister mit Blick auf die "Gorch Fock I". Kaum unterdecks in der Messe angekommen, versammelten sich die bunt gemischten Teilnehmer. Erste Heißgetränke überbrückten die Zeit bis zur Begrüßung durch die Teamleitung und die Skipperin (!).
Nach der obligatorischen Vorstellungsrunde, der Einweisung in die Sicherheitsvorschriften, erfolgte die Vorstellung der bordüblichen Regeln: "Kein überbord Pinkeln!" "Es gibt nur vegetarisch von den Teams selbst gekochtes Essen." "Wir haben hier eine Vakuum-Toilette: Ins Klo geht nichts, was nicht durch Euren Mund ging!" "Eine Hand für das Boot, eine für dich, doch Selbstschutz geht vor!" Dann wurde der Rotationsplan der Pflichten & Backschaften zwischen den Segel Teams vorgestellt, das Kursprogramm erläutert und die Teilnehmer in die vier zur Beseglung notwendigen Teams (Vorsegel, [Groß-]Piek, [Groß-]Klau und Besan) eingeteilt. Abschließend wurden die Kojen auf Zuruf schnell zwischen den vorgeformten kleinen 2er und 3er Grüppchen verteilt und die Einzelreisenden sortierten sich spontan hinzu.
Blick durch die Messe nach achtern. |
Während die erste freiwillige Backschaft die Eigenheiten der Infrastruktur der Kombüse erlernte, verlud der Rest die zahlreichen Gepäckstücke und den Proviant. Beim gemeinsamen Abendessen lernten sich die Teilnehmer im Gespräch mit den Tischnachbarn langsam gegenseitig kennen, bevor gegen 23 Uhr die Kojen riefen.
Die lange Steuerbord Tafel mit Blick zum Bug. Zu je dreizehnt wird's auf beiden Seiten gemütlich. |
Glücklicherweise wird im Gegensatz zu anderen Traditionsseglern auf der Petrine nicht im 3 Wachen Rhythmus gesegelt, so daß die Nachtruhe für die Nicht-Backschafter bis 7:30 Uhr morgens andauerte. Während einige noch ihr Frühstück beendeten, verkündete die Skipperin, daß der Wind günstig stehe und laut Voraussagen auch in den nächsten Tagen so bleiben würde. Die zuvor gewünschte und beschlossene Rügenumrundung von West nach Ost konnte durchgeführt werden.
So ging es nach dem Klarschiffmachen endlich los! Vom 15.09. - 21.09.2012 segelten wir tagsüber bei wechselndem, meist sonnig-trockenem Wetter und mindestens 3-4, phasenweise bis 6-7 Windstärken rund um die Insel und über den Bodden. Der Törn führte uns von Stralsund über Vitte, Lohme, Ruden, Lauterbach, schließlich nach Gustrow und wieder zurück nach Stralsund über insgesamt 142 Seemeilen.
![]() | ||||
Die Skipperin: Meisterliches Können beim Anlegen in Lohme beseitigt bei allen die letzten Zweifel. |
Recht so: Fock und Klüver stehen gut - ohne Jager geht es auch. |
Volle Lappen: Topsegel des Fockmasts. |
![]() |
Kaiserwetter vor Rügen und endlich wieder Datenempfang. (A) |
Die Segelbedienungsteams waren gleichzeitig auch Arbeitsgruppen, die mittels des Bordarchives Wissen erwarben und dieses an die Mitsegler weitergaben. |
![]() |
Bei schönem Wetter wird an Deck nicht nur am laufenden Gut - sondern auch mit dem Kopf gearbeitet. |
Jeden Tag werden Messereihen durchgeführt, ausgewertet - und thematische Vorträge zum Ökosystem Ostsee von den Mitfahrenden gehalten. So stellten wir anhand von Sichtprüfungen an unterschietlichen Stellen fest, dass der Bodden biologisch quasi tot ist.
Je dunkler, desto mehr Nitrat: Links biologischer - rechts konventioneller Anbau. |
Hafenfein verpackt in Lohme. |
... auf denen teils sehr merk-würdiges zu finden war. |
![]() |
Auf Ruden konnten wir riesige Kranichschwärme - sowie vereinzelte Seeadler beobachten. (A) |
Tagsüber immer wieder Manöver, Referate, Backschaft, Essenfassen, Klarschiff, aber auch Momente der Gesprüche, der Ruhe und des Entdeckens der Zeit zwischen den Aktivitäten.
Zwischen ihren diversen Instandhaltungsarbeiten hatten selbst die Crewmitglieder Zeit für die eine oder andere Partie Doppelkopf mit den Mitseglern.
Sonderbare Momente beim Doppelkopfspiel. |
Kaum wurden ein paar Runden gespielt, da verschwand die Sonne, der Wind frischte auf. Die Wellen wurden größer und härter. Regenwolken verdunkelten den Himmel weiter, Schaumkronen jagten über das dunkel-metallisch schimmernde Wasser - die Takelage ächtzte und stöhnte, die Kränkung nahm erstaunlich zu. Ruckartig schob sich der schwere Rumpf schneller als zuvor gegen die nun hart aufprallenden Wellen, so das nach jedem Aufprall ein dumpfes Zittern das Schiff durchlief. Die nun hochspritzende Gischt und der Regen verwandelten das Metalldeck in einen rutschigen Hindernisparkur. Laut knatternd schlugen uns die Vorsegel und ihre Schoten im gedrehten Wind um die Ohren.
"Holt die Vorsegel dichter!" kam der Ruf von der Skipperin. Es folgten weitere kaum hörbare Kommandos für die anderen Teams, doch wir hatten alle Hände voll zu tun. Trotz der widrigen Umstände mussten wir den Schoten auszuweichen, versuchen sie festzuhalten ohne unseren Stand zu verlieren, sie mit vereinten Kräften so zu halten, dass sie losgeschlagen und dann nacheinander noch dichter geholt werden konnten. Dies alles in der Hoffnung, dass keines der 4 oder 5 paar Hände auf engstem Raum von der einen Schot abrutschen, wegfallen oder sich einklemmend verletzen möge - denn dann wäre das Tau für die anderen nicht mehr zu halten gewesen. Wir hatten gehörigen Respekt! Die schiere Kraft und Wucht der Elemente war unglaublich: Teilweise wurden wir durch die Dünung und Wind durcheinandergewürfelt, hingen, teils über das Deck rutschend, nur noch an den Schoten - ohne festen Halt unter den Füßen. Doch mit vereinten Kräften und unter der fachkundigen Anleitung der erfahrenen Crewmitglieder schafften wir es, ohne Schaden an Segel oder Crew die Situation zu meistern, nacher auch noch Segelmanöver zu fahren.
![]() |
Das Vorsegelteam hat bei Manövern unter kräftigem Wind alle Hände voll zu tun. (A) |
Glücklicherweise passierte dies nicht am ersten Tag. Nach erfolreichem gemeinsamen Meistern der Herausforderungen, verschwand das Adrenalin langsam wieder aus dem System. Dann liefen wir sicher unter Sonnenschein in den Hafen ein. Ende gut, alles gut.
Doch erst nach dem Anlegen durften dem Reinheitsgebot gemäß gebraute Grundnahrungsmitttel zum Feiern des bestandenen verzehrt werden. Die Crew hatte ihre "Feuertaufe" gemeistert - das Lachen der Skipperin klang am Abend wieder entspannt und fröhlich - und die letzten Tage verlief der Törn wie im Bilderbuch.
Friedliche Abenstimmung in Lauterbach nach aufregendem Ritt durch die Elemente. |
Mehr Informationen zum Schiff uns Ihrer Geschichte findet Ihr im virtuellen Heimathafen der Petrine.
Wer auf den Geschmack gekommen ist, kann dieses Jahr selbst mitfahren: Auch 2013 gibt es wieder Bildungsurlaubsangebo(o)te.
Viel Spaß, vielleicht sehen wir uns ja an Bord?
Text & Fotos: Gregor
Fotos: André (A)